Einfach visionslos geworden?

Männlicher Umgang mit Visions- und Kraftlosigkeit

Visions und Kraftlosigkeit rührt von falschem Umgang mit zwischenmenschlichen Erfahrungen her. Das Herz hat abgeriegelt, es will nichts mehr anderes tun, weil soviel Klärungbedarf ansteht, es muss verstanden haben, was los war, sonst verweigert es jegliche andere Beschäftigung mit anderen Dingen.

Die wichtigste Frage an den Mann ist, wie geht er mit seinen Wunden um. Die weltliche Reaktion auf eine Verwundung ist, sie zu verstecken und den starken Mann zu spielen. Man(n) wird lauter, lacht lauter, wird zynischer und gibt sich angriffslustiger, man berieselt sich immer mehr, um sie nicht zu spüren, gerät in Süchte, um das schreiende Herz zu betäuben.

Die ersten Männer, die dies erkannten, waren die Wüstenväter. Tausende junger Männer flohen zu ihnen, weil sie aus dem römischen Kirchensystem ausgewiesen wurden. Das waren keine schlechten Männer, sondern gerade die Aufrichtigen, Ehrlichen, Suchenden und Hinterfragenden waren den Patrizieren, die sich der Führung der neuen Staatskirche bemächtigen wollten, ein Dorn im Auge. Sie flohen in die Wüste, und die Wüstenväter sperrten die Heilungssuchenden erst mal einige harte Tage in ein stilles Kämmerlein ein. Klar kam abends der Abbas mit Wasser und Brot vorbei und schaute nach dem „Jungen“. Aber die Absicht war deutlich: Sie sollten ihren Schmerz wieder spüren können und aus nicht wenigen Kelions (Gemäuer) gab es laute Schreie zu hören. Aller Schmerz – über die lange Schifffahrt gut verdrängt – stieg in ihnen auf und suchte seinen Ausdruck.

 

Nun sind wir etwas weicher geworden heutzutage, und wir suchen nach einem alternativen (wenn auch ggf. einem länger dauernden), schmerzloseren Weg, und das ist wichtig so. Das Wertvollste, was ein neuer Mann in die Männerarbeit einbringen kann, ist nämlich wirklich seine schmerzhafte Wunde. Man kann sie durchaus vergolden. Die Wunden sind es, die uns zur Besinnung brachten, und wir sind ihnen irgendwann dankbar dafür – wir spalten sie nun endlich nicht mehr ab, sondern integrieren sie als unser Kraftpotential.


Große Männer und große Terroristen haben etwas gemeinsam – sie haben deftige emotionale Wunden erfahren. Die einen haben sie als Leidenschaft transformiert, diese Welt zu ändern, die anderen wollen sie nur noch in die Luft sprengen. Wunden haben etwas Heiliges an sich und sie können „Gewinn bringend“ eingesetzt werden! Oft liegt unsere größte Berufung gerade an der Stelle, an der die Wunde sitzt. Klar – da war einer, der von Anfang an zerstören wollte, was Gott an Berufungen zum Segen dieser Welt erdacht hatte. Man sagt, unsere Berufung sei uns auf die Stirn geschrieben, und jeder Engel oder Dämon könne das sehen.

Michael Schneider, ein Mann vom CMT Leonberg gab mir einen guten Tipp (und ich spürte instinktiv, das ist jetzt von Gott direkt in unsere Situation gesprochen: “Lasst doch am Anfang eines CMTs jedes Teammitglied (jetzt dann wohl auch genannt: den „Jahresbruder“) seine schmerzhafte Geschichte erzählen und seine Wunde beschreiben, so werden sich wie von selbst die richtigen CMT Kleingruppen bilden. Wunden haben etwas Anziehendes – die, die die gleiche haben, strömen automatisch dorthin zu dem, der sie dann verstehen kann. Ja, wir sind eine Gemeinschaft von Verwundeten. Viele von uns haben immer noch eine blutende Vaterwunde, einige verschmerzen noch eine heftige Lebenswunde wie der Verlust der Familie oder des Arbeitsplatzes, andere fühlen Schmerz über eine Gemeinde, die sich in ihren Augen selbst zerstört. Wieder andere sehnen sich nach Vaterschaft bei Leitern und bekommen diesen Wunsch selbst im CMT nicht so gestillt, wie ihr Herz es sich vorstellt. Nun kommt Leid gerade nicht von Gott – und dennoch macht Leid vor Gott einen Sinn. Klar – der Böse will uns zerstören mit Bitterkeit, Frust und Selbstmordgedanken, aber wir können das alles (mit einem gewissen geübten Geschick im Umgang mit unserem Herzen) drehen und es in einen Segen für uns und andere verwandeln. Nun glauben wir ja als Christen in der Männerarbeit, dass gerade diese Wunden uns und anderen zum Segen werden können – wenn wir es nur irgendwie schaffen sie zu transformieren. Und unser Herz ist von Gott emotional intelligent geschaffen – manche schaffen dies sogar ohne Gott – einfach durch ein klares Verständnis der Notwendigkeit.1.Petr 2,24: „Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.“ Und so können wir als Nachahmer Christi ebenso selbst und dazu noch andere an unseren Wunden heil werden, wir müssen nur die Auferstehung hinbekommen. … und das heißt wohl „Sterben“, damit wir die Auferstehung gratis dazubekommen.

– Die besten Leiter heute sind unter schlechten Leitern einst herangewachsen.

– Die einfühlsamsten Menschen heute wurden einst brutal behandelt.

– Männer, denen heute alles gelingt, hatten jahrelang schlimme Pechsträhnen.

Wie aber soll das geschehen? Nun empfiehlt Richard Rohr uns einen sanfteren Heilungsweg als die Wüstenväter: Wir sollen unsere Wunde auf Händen vor uns hertragen – so hat man sie selbst vor Augen und zeigt sie gleichermaßen den anderen.Und das solange, bis es einem nichts mehr ausmacht, dann ist die Übung abgeschlossen – der Schmerz überwunden. So verliert die Wunde ihre Macht über uns, sie kommt ans Licht und verdirbt somit nicht mehr unser Inneres, wo sie fault und immer schlimmer wird. Andere wissen, die Wunde gehört zu ihm und das ist nicht mal so schlimm – es macht ihn sogar sympathisch. Nur braucht das Herz ganz schön lange, bis es dazu bereit ist. Erstens dauert es, bis man seine Wunde selbst klarer sehen kann, zweitens braucht es Zeit, bis man sie anderen deutlich verständlich machen kann, und drittens will „das Ding“ nicht freiwillig ans Licht – man könnte seinen Ruf verlieren, man könnte abgelehnt werden dadurch und somit weniger Anerkennung bekommen, andere könnten das sogar gegen einen verwenden, wenn es um Karriere oder Amtsposten geht.

Das innere Kind hält die Wunde zu, keiner soll sie sehen – so intim ist sie ihm. Es schmollt, es sinnt auf Rache, es will bedient werden, und zwar sofort. Die anderen sollen bestraft werden. Das ist nun mal so, und das muss der weise Mann wissen. Man muss gütig umgehen mit sich selbst, sagen die Wüstenväter, sonst wird alles schlimmer. Mit einiger Mühe aber kann man das innere Kind schon überzeugen, dass es intelligenter ist, sie herzuzeigen. Irgendwann ist das Kind stolz auf seinen Gips, irgendwann lässt es die anderen daran teilhaben, es ist auch schön getröstet zu werden von den anderen. „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich völlig ungeniert.“ ist der Slogan, ja die Scham nimmt ab, und damit die immense Behinderung durch die Wunde, und es macht anderen Mut. „Wenn der trotz so einer heftigen Verwundung nun doch so leidenschaftlich weiterkämpft, will ich es auch versuchen!“ Jeder ist ein Baustein des Leibes Christi – insofern ist jeder gerade mit seiner Wunde so ein wichtiger Zeuge des Evangeliums, das es zu beweisen gilt – es funktioniert – man kann wirklich dem Bösen entkommen und ihm dem Spieß rumdrehen! Den eigenen Schmerz zum Kreuz bringen heißt aber auch, dass vor diesem Kreuz eine Runde von Brüdern anwesend ist, die das mitbekommen. Offensichtlich reicht für die Heilung das stille Kämmerlein nicht aus, man braucht einen „Abbas“, der vorbeischaut oder zumindest aber Brüder, die da sind und Verständnis haben.

Diese Methode des „auf den Händen Tragens der Wunde“ wollen wir in unserer ohnehin schon guten Offenheit und Ehrlichkeit im CMT weiter einüben – ich denke, es macht uns menschlicher, und wir können so Heilung für unsere wunden Seelen erfahren und sie anderen weitergeben!