Mannsein bei den Wüstenvätern

Die Wüstenväter – deutliche Parallelen zu unserer CMB-Arbeit ?

Nachdem vom 3. Jahrhundert an immer mehr einflussreiche römische Familien sich der Kirchenleitung bemächtigten, strömten viele vom Kirchensystem enttäuschte Männer und seltener auch Frauen in die Wüste Ägyptens um in aller Rückgezogenheit einen tieferen Glauben zu finden als die oberflächliche Art der üblichen Stadtkirchen. Zuhause war dies nicht möglich, weil die Großkirchen alles mit Argwohn und auch Verfolgung bedachten, was außerhalb der eigenen Mauern so keimte.


Buntes Völklein von Bekehrten
Die ersten Mönche des Christentums, die Wüstenväter, führten ein hartes Einsiedlerleben in den arabischen Wüsten, vor allem aber in Ägypten. Kein Besitz und keine andere Abhängigkeit sollte sie hindern, ihre Seele ganz auf Gott auszurichten. Diese Wüstenväter und -mütter waren allerdings vorerst keine sehr heiligen Menschen, sondern ein buntes Volk von Bekehrten mit ganz unterschiedlichem Hintergrund. Unter ihnen gab es zum Beispiel einen bekehrten Räuberhauptmann; ein anderer floh in die Wüste, um sich vor Frauen und Bischöfen zu retten.

Gemeinsam war ihnen, dass sie mit Persönlichkeitsstörungen aller Art kämpften. Viele litten unter depressiven Störungen. Ihr Leiden hinderte sie aber nicht daran, sich diesen Störungen zu stellen. Und dieser Kampf war noch schwieriger als der Kampf um das körperliche Überleben in der Wüste, wie Psychiatrieprofessor Hell erklärte. Doch später wurden sie zu Beratern und Therapeuten vieler Menschen, die sie in der Wüste aufsuchten.

„Schließe dich dem an, der dich fragen lehrt: Was will ich?, Wer bin ich? ”
So rät ein Wüstenvater einem Schüler. Wieviel Unzufriedenheit kommt daher, dass wir nicht wissen, was wir eigentlich wollen! Der Weg des Schweigens beginnt damit, dass einer ein Leben „aus erster Hand“ führen will, sich nicht mehr mit dem zufrieden gibt, was ihm Lehrbücher oder – modern – Talkshows erzählen, sondern auf sein Herz, auf seine tiefste Sehnsucht zu hören lernt und aus dem Erlauschten heraus einen ersten, vielleicht noch so kleinen, aber doch eigenen Schritt geht. So geht der Weg des Schweigens: trial and error! Je neu erspüren, was als nächster Schritt dran ist und trägt. Fehltritte und Fortschritte gehören dazu.

„Wenn du etwas tust, dann tu es im Verborgenen!“
Gott wohnt im Verborgenen, und darum zieht es die Wüstenväter in die Verborgenheit der Wüste. Hier – in Gegenwart des verborgenen Gottes – zählt nicht das, was einer tut, und seien es noch so gute Werke. In der Verborgenheit zu leben bedeutet: der/die zu werden, der/ die ich vor dem verborgenen Gott bin. So bringt der Weg des Schweigens heraus, wie es um mich selbst eigentlich bestellt ist. Wer sich nicht mehr durch das definiert, was er tut, sondern was er ist, der entdeckt etwas von der Einmaligkeit, Individualität, Freiheit, aber auch Einsamkeit und inneren Leere des Menschen. Nicht die geographische Wüste, nicht ein Haus oder Raum der Stille machen also das Schweigen aus, sondern innen, in uns ist der eigentliche Raum des Schweigens, den es zu entdecken gilt. Verachte niemanden, verurteile niemanden, verleumde niemanden, bewerte niemand …“
Das ist Schweigen konkret nach der Weisung der Wüstenväter. Wie viele von den Gedanken, die einem den ganzen Tag über durch Kopf und Herz gehen, lassen mich gar nicht bei mir selbst sein, beschäftigen sich mit den anderen, urteilen und verurteilen sie! Nicht eigentlich der Mund wird einem beim Schweigen verboten, sondern das abfällige, urteilende Reden und Denken ist das Gegenteil des Schweigens. Machen wir uns bewusst: eine Mahnung zum Schweigen ist nur sinnvoll, wo grundsätzlich die Möglichkeit zum Sprechen, und zwar mit einem anderen Menschen besteht. Schweigen lernt sich nicht in der Abgeschiedenheit eines Meditationsraums, Schweigen lernt man niemals für sich allein. Schweigen lernt man nur in der Beziehung zu anderen, im alltäglich geteilten Leben mit anderen. Wer vom (Ver-) Urteilen zu schweigen gelernt hat, der kann dann leben, wo er will, er wird immer im Schweigen sein.

„… und dein Sitzen wird ohne Verwirrung sein“
So geht der zitierte Spruch weiter. Wer aufhört, ständig beschäftigt draußen herumzulaufen und sich wirklich mal hinsetzt, bei dem können sich auch die Gedanken „setzen“. Er wird aufmerksam auf das, was ihn innerlich umtreibt und bewegt. Und darauf kommt es an, die eigenen, im Alltag kaum bewusst werdenden Gedanken wahrzunehmen, ihnen aber nicht nachzulaufen, sie vielmehr unverrichteter Dinge weiterziehen zu lassen. Eine Suchttherapie aus der Wüste, ein Weg, um nüchtern zu werden, wie die Wüstenväter sagen, nämlich frei von dem, was über Herz und Bauch, Hand und Mund Macht gewinnen will. Begleitet wird das aufmerksame Sitzen von einem innerlich wiederholten Gebetswort, „Herr, hilf mir“ oder  „Jesus, erbarme dich“, Anfänge des Herzens-gebets. In solchem Schweigen, Sitzen und Meditieren wird im Menschen ein Raum frei, der von Gottes Heiligem Geist eingenommen werden kann.

Antonius, einer der frühesten Wüstenmönche, wurde durch das Beschreiben seiner Versuchungen bekannt. Sie wurden von vielen Künstlern dargestellt, die sich offenkundig davon angesprochen fühlten. Der Isenheimer Altar, aber auch Salvador Dalis Werk, zeugen davon. Diese Künstler stellen die inneren Kämpfe als äussere Bedrohung dar, wie sie oft auch von den Eremiten in Form von Heimsuchungen durch Dämonen erlebt wurden. Dorfbewohner, die am zerfallenen Kastell in der ägyptischen Wüste vorbeigingen, wo er sich zurückgezogen hatte, hörten ihn oft schreien. In den „Vätersprüchen“ wird berichtet, dass er mit Verstimmung und mit düsteren Gedanken kämpfte. Heute würde man für sein Leiden das Wort „Depression“ verwenden, die Wüstenväter sprachen von der „Akedia“.

Gegen den Dämon der Depression
Das Akedia-Konzept der Wüstenväter betont die Auswirkungen von Gedanken, Vorstellungen und spontanen Einfällen. Die Leidenschaften, welche die Gedankenwelt erfassen, gefährden die Persönlichkeit des Menschen und können krank machen. Der Schriftsteller Evragius Ponticus sah in der Depression ein Übermass an Verstimmtheit, Ekel und Überdruss. Er schrieb von einer Erschlaffung der Seelenkräfte und machte dafür den „Dämon der Akedia“ verantwortlich. Dieser bereite vielen Eremiten die grössten Schwierigkeiten … Er lasse sie den Tag wie 50 Stunden erleben, er lasse Hass aufsteigen über den Ort, wo man sich befinde und Verzweiflung, dass es niemanden gibt, der einem Mut zuspricht. Die mitleidlose Selbstbeobachtung in der Abgeschiedenheit und Stille habe jedoch die Wüstenmönche davor bewahrt, das seelische Erleben selbst zu problematisieren. Hell: „Die aufmerksame Selbstbeobachtung hat sie vielmehr gelehrt, die einschiessenden Gedanken als Probleme wahr zu nehmen und in ihnen die Ursachen ihrer Verstimmungen und Leidenschaften zu sehen. Sie haben damit Erkenntnisse voraus genommen, die heute durch die kognitive Psychotherapie neu entdeckt werden.

Die Wüstenmönche hätten eben erkannt: Man kann nicht ohne Versuchungen ins Himmelreich eingehen. Man kann ihnen aber widerstehen und sie nicht zur Sünde werden lassen. Insbesondere der Versuchung der Akedia habe man ins Auge geblickt, denn sie habe als die schlimmste von allen gegolten – aber auch die grösste Reinigung der Seele zur Folge gehabt (Evragius Ponticus).

Aktiv Widerstand leisten
Hell bedauert, dass die Depressionen heute nur noch als Krankheit und nicht mehr als Herausforderung gesehen werden. Dagegen habe sein Patient, der Filmemacher Rolf Lissy, beschrieben, wie er die Depression überwunden habe. Die Wüstenväter hätten Rezepte gegen die Depression verwendet, die heute wieder modern geworden seien. Sie verlangen, dass man die Akedia zuerst einmal akzeptiert. Zweitens entwickelten sie ein „anders Denken“. Depressive Menschen neigten dazu, negativ zu denken und sich nichts zuzutrauen. Die kognitive Psychotherapie versuche, diese zu relativieren und zu hinterfragen. Genau das hätten die Wüstenväter auch getan – mit einem biblischen Konzept. Negativen Gedanken hätten sie Bielworte entgegengesetzt. Sie hätten empfohlen, auch der Traurigkeit Raum zu geben und die Emotion nicht zu verdrängen. Tränen stellten sie als einen Hort des reinen Erlebens dar. Sie empfahlen insbesondere auch, einen geordneten Lebensrhythmus zu entwickeln. Zum Beispiel einen Tag-Nacht-Rhythmus. Auch das ist in der modernen Psychiatrie wieder entdeckt worden. Ebenso werde der Ratschlag der Wüstenväter, sich der eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein (momento mori), als Element auf dem Weg zur Heilung wieder ernst genommen.

Aus Depressiven wurden Seelsorger
Die Folge: Die zuerst isoliert lebenden Mönche wurden immer mehr von psychisch Leidenden aufgesucht und entwickelten sich so zu Therapeuten und geistlichen Beratern. Ihre Einsicht und Grundhaltung kam aus der persönlichen Erfahrung. Hell: „Sie fragen nicht nach der richtigen Therapie, sondern: Wer bin ich eigent-lich?“ Ihre Einsichten und Ratschläge hatten sie vor allem mit Geschichten weiter gegeben, die den Vorrang des Seins vor dem Schein betonten. Dabei hoben sie geistlich nicht ab, sondern blieben auf dem Boden der Realität.

Die Wüstenmönche wussten: Wenn das therapeutische Wort nicht durch die eigene Erfahrungen abgestützt ist, droht es zur leeren Rede zu werden. Anpredigen oder theologisieren mieden sie wie die Pest. Menschen, die Allgemeines lehrten ohne Bezug zur inneren Herzens-Verfassung ließen sie einfach stehen. Bei der Predigt in offiziellen Kirchen gingen sie „raus“ und suchten Gott im Verborgenen. Es ist gefahrvoll, wenn einer lehren will, der nicht durch das Leben hindurchgegangen ist, betonte Hell als Psycho

Die Seele ernst nehmen
Die Seele sollte laut Hell als Fundament des Persönlichkeit nicht in Frage gestellt werden. Man soll sie auch nicht in Funktionseinheiten auflösen. Noch gebe es tausend Spielarten der Manipulierbarkeit des Leidens und der Ablenkung, stellt Daniel Hell kritisch fest. Die Wüstenväter jedoch haben radikal die Selbsterfahrung in den Mittelpunkt gestellt. Sie waren sich der Notwendigkeit der geduldigen Selbstbesinnung bewusst. Hell dazu: „Vielleicht finden die von den Wüstenvätern überlieferten Einsichten gerade heute eine so grosse Resonanz, weil sie auf etwas aufmerksam machen, das in der stärker instrumentalisierten Lebensführung der Spätmoderne verloren zu gehen droht.“

Die Versuchungslehre des Evagrius Ponticus –

Apg 14,22: „der Mensch muss durch allerlei Versuchungen in das Himmelreich eingehen.“

FRAGESTELLUNG:

Soll ich der Versuchung widerstehen oder sie heranlassen und sie besiegen?

Manchmal ist es gut sie heranzulassen !

Manchmal ist es gut ihr zu widerstehen !

Integration der Anfechtung ; „Hereinlassen, Anschauen und Besiegen“

Abspaltung der Anfechtung: „Widerstehen, Abwehren und Lossagen“

1. Freude …

… zulassen oder abwehren?

POSITIV: schafft Beziehung, befähigt zum Genießen

NEGATIV: will immer mehr Freude und meidet den Schmerz, will befriedigt werden durch Berieselung

2. Begierde ..

… zulassen oder abwehren?

POSITIV: gibt Kraft, die zur Beziehung drängt, setzt Leidenschaft frei

NEGATIV: alle nichtsexuellen Wünsche werden sexualisiert, Unterdrückt Leidenschaft

3. Haben wollen

… zulassen oder abwehren?

POSITIV: führt zu Einsatz und Leistungsbereitschaft, lässt uns Pläne machen und uns begrenzen

NEGATIV: setzt den Neid auf andere frei, will nicht teilen, weil es so hart war zu erarbeiten

4. Trauer

… zulassen oder abwehren?

POSITIV: führt zum Nachdenken und Besinnen, reinigt die Seele und hilft beim Umkehren

NEGATIV: andauerndes Grübeln und sich verschließen, führt zu Depression

5. Wut, Zorn

… zulassen oder abwehren?

POSITIV: schafft Abstand zum anderen, setzt Kampfgeist frei

NEGATIV: moralisierende Haltung – alle sind schlecht, mus alles bewerten und stellt sich ins rechte Licht

6. Angst und Ekel

… zulassen oder abwehren?

POSITIV: bewahrt vor Verletzung, verhilft zu Abgrenzung

NEGATIV: Leben im Rückzug, Verurteilung der anderen

7. Rum, Ehre… zulassen oder abwehren?

POSITIV: spornt an zu Leistung, macht uns offen für höhere Ziele

NEGATIV: führt zu unrealistischen Selbsteinschätzungen, tötet Beziehungen ab,

8. Stolz

… zulassen oder abwehren?

POSITIV: gibt Selbstwert, macht mich unabhängig von anderen

NEGATIV: trübt den Blick für das Leid anderer, führt in die Isolation

Man nimmt an, dass tausende junger Männer nach Europa zurückkehrten und dieses Europa christlich ausgestalteten. Viele Klöster entstanden, Schulen wurden eingerichtet, einige der Schüler der Wüstenväter entwickelten bedeutende Leiterqualitäten und wurden so heute zu recht als die Gründer des modernen Europas angesehen.

Insbesondere die Einteilung des Tages in Arbeits-, Gebets- und Beziehungszeiten beim gemeinsamen Essen gehen auf sie zurück – ganz anders als im afrikanischen Kontinent, in dem ganz anders mit dem Thema Zeit umgegangen wird.